Sprite-Ästhetik oder warum Bubble Bobble ein Gesamtkunstwerk ist

von Olaf Zimmermann

Der kleine untenstehende Basic-Code zaubert mittels des extensiven Einsatzes des direkten Speicherzugriffes durch POKE und PEEK, ein einfaches Grafikobjekt, hier ein Rechteck auf den Bildschirm des legendären 8Bit-Computer C64 aus den 1980er-Jahren. Das Rechteck fährt jeweils von links oben nach rechts unten auf dem Bildschirm und wechselt bei jedem Durchlauf seine Farbe.
Das ist nicht die Welt, aber damals war so etwas ein kleines Wunder. Wenige Zeilen Programm und schon bewegt sich ein Grafikbaustein, auch Sprite genannt, über den Bildschirm. Sprites sind eigenständige, bewegliche Grafikobjekte, die unabhängig vom Hintergrund auf dem Bildschirm dargestellt werden können. Anders als normale Bildschirmgrafik verändern sie nicht den Speicherbereich des Hintergrundbildes, sondern werden von der Grafik-Hardware wie eine transparente Folie darübergelegt.
Sie besitzen eigene Positionen (X- und Y-Koordinaten), eine eigene Farbinformation und häufig auch Kollisionserkennung, dass für die Spieleprogrammierung absolut notwendig ist. Dadurch ermöglichen sie Animation und Interaktion mit geringem Rechenaufwand, was besonders in der Ära langsamer 8-Bit-Computer wie dem Commodore 64 und 128 und dem Atari 400/800/XL/XE entscheidend war.

Die Entwicklung von Sprites begann Ende der 1970er-Jahre mit Systemen wie dem Atari 400/800, wo sogenannte "Player/Missile Graphics" als frühe Sprite-Form realisiert wurden. 1982 führte Commodore beim C64 mit dem VIC-II-Chip echte Hardware-Sprites ein. Diese erlaubten 24×21 Pixel große Grafiken, die sich durch Register direkt verschieben und einfärben ließen. Spätere Rechner wie der 16-Bit-Amiga ergänzten die Spritetechnik durch zusätzliche Hardware wie Blitter und Copper, was nahezu unbegrenzte grafische Möglichkeiten eröffnete. Technisch gesehen bieten Sprites viele Vorteile: Sie erfordern keine Neuberechnung des Bildschirms bei Bewegung, können unabhängig vom Hintergrund schnell animiert werden, und erlauben Interaktion durch Kollisionserkennung. Sprites machen Spiele flüssig, ohne die CPU stark zu belasten, und ermöglichen selbst mit wenigen Kilobyte Grafikdaten komplexe visuelle Effekte.

Die Ästhetik von Sprites ergibt sich dabei maßgeblich aus ihren Beschränkungen: begrenzte Auflösung, reduzierte Farbanzahl und feste Formen erzwingen eine starke stilistische Vereinfachung. Gerade diese Reduktion führt zu ikonischen, klaren Darstellungen und zu nicht wenigen Kunstwerken. Da sich Sprites scharf vom Hintergrund abheben, entstehen außerdem visuelle Ebenen, die oft Tiefe und Übersichtlichkeit erzeugen. Die Bewegungen, die rein über Hardware-Register erfolgen, wirken flüssig und reaktionsschnell. So wurde eine ganze Designsprache entwickelt, die viele Klassiker, etwa Pac-Man, Turrican oder Gianna Sisters und natürlich auch das von mir so geliebte Bubble Bobble prägte. Bubble Bobble wurde 1986 von dem Designer Fukio Mitsuji bei Taito entwickelt. Taito war ein japanisches Videospieleunternehmen, dass 1978 mit der Entwicklung von Space Invaders, eines der einflussreichsten Spiele aller Zeiten vorgestellt hatte. Taito ist heute kein unabhängiger Arcade-Gigant mehr, wie in den 1980ern, aber es lebt im Videospieleunternehmen Square Enix weiter, in dem so bekannte Rollenspiele wie Final Fantasy und Dragon Quest verlegt wurden. Im selben Jahr in dem Bubble Bobble erschien, veröffentlichte Taito auch Arkanoid, ein ebenfalls ikonografisches Spiel, dass auch heute noch von Millionen von Menschen auf ihrem Handy gespielt wird.

Bubble Bobble gilt auch deshalb als Grafik-Ikone und Gesamtkunstwerk der Videospielgeschichte, weil es mehrere visuelle, ästhetische und gestalterische Prinzipien auf exemplarische Weise vereint - und zwar zu einer Zeit, in der die technischen Möglichkeiten stark begrenzt waren.

Zunächst besticht das Spiel durch seine klar erkennbare visuelle Sprache: Die Protagonisten Bub und Bob sind zwei kleine Dinosaurier, deren Formen einfach, rund und sofort wiedererkennbar sind. Sie sind aus nur wenigen Sprites zusammengesetzt, die mit bewusst reduzierter Farbpalette arbeiten - ein typisches Mittel der 8-Bit-Ära, das hier jedoch besonders künstlerisch genutzt wird. Die Hauptfiguren wirken lebendig, weil ihre Animationen weich und liebevoll gestaltet sind, trotz der beschränkten Hardware. Die Gegner und Level-Grafiken sind in einem einheitlichen Stil gehalten: knallige Farben, geometrisch saubere Linien, stets in leicht lesbarer, fast ikonischer Formsprache. Die Gestaltung der Level ist dabei nicht nur ästhetisch, sondern auch funktional - jedes Leveldesign ist eine grafische Miniatur mit klarer Lesbarkeit und präziser Steuerungslogik. Auch die Hintergrundmusik - ein fortlaufendes, eingängiges Chiptune-Stück - verstärkt die grafischen Eindrücke, da sie sich perfekt mit den Bildschirmereignissen synchronisiert. Wesentlich zur künstlerischen Wirkung trägt bei, dass Bubble Bobble ein kohärentes Erlebnis schafft: Figurendesign, Animation, Farbschema, Typografie (der Punkte und Bonus-Anzeigen), Spielprinzip und Sounddesign bilden eine geschlossene ästhetische Einheit. Dieses Zusammenspiel verleiht dem Spiel ein eigenes "Universum", das stilistisch aus einem Guss wirkt.

Nicht zuletzt hat Bubble Bobble mit seiner fröhlichen, fast kindlich anmutenden Optik eine visuelle Gegenwelt zu den damals eher düsteren oder techniklastigen Spielen geschaffen. Die beiden Dinosaurier töten ihre Gegner nicht, sondern sie hüllen sie in eine ausgespuckte Blase ein, die die Gegner wegträgt. Das Spiel lädt zum gewaltlosen Spielen ein, ohne überfordernd zu sein - durch Farben, Formen und Bewegungen entsteht ein Spiel, das sofort vertraut wirkt, dessen Regeln sich unmittelbar selbst erklären Auch heute sind die in den 1980er Jahren erfundenen Sprites in der Entwicklung von 2D-Spielen präsent, oft als sogenannte Sprite-Sheets oder Tilesets, und prägen den Look zahlreicher Retro- und Indie-Games. In der Emulation, beim Game-Modding oder in der Kunstproduktion (Demos) mit alten Systemen sind Sprites nach wie vor ein zentrales Gestaltungsmittel. Was einst eine technische Notlösung war, ist heute ein Stilmittel mit hoher Wiedererkennbarkeit und kulturellem Wert - eine eigenständige visuelle Sprache des digitalen Zeitalters.

 

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